How To Surf - partizipative Gedichterfahrung
- Thema
- Droste Natur Lyrik
- Alter
- 12–18
- Dauer
- 45 Minuten
- Material
- Text Video Audio
- Sprache
- Deutsch DGS
eine Handlungsanweisung wird auch Score genannt. Das ist ein Text, der beschreibt, was du tun sollst.
Es kann etwas ganz Einfaches sein wie zum Beispiel »Lies den Text dreimal laut vor.«
Oder komplizierter »Gehe in den Keller, sprich den Text und nimm dich dabei auf.«
Unten findest du zwei unterschiedliche Handlungsanweisungen, deren Umsetzung dir hoffentlich Spaß macht. Durch den aktiven Umgang mit dem Text kannst du Neues über die Gedichte und vielleicht auch über dich selbst herausfinden.
- Lege dich mit genug Abstand zu den anderen Menschen in die Mitte des Raumes.
- Nimm den Text »Am letzten Tage des Jahres (Silvester)« und lies ihn zweimal leise. Nur in deinem Kopf.
- Entscheide dich für eine Strophe (6 Zeilen) und lies sie laut oder gebärde sie.
- Alle lesen irgendwann ihre Strophe laut oder gebärden durcheinander. Es wird chaotisch klingen oder aussehen.
- Nun versuche deine Strophe an der Stelle laut zu lesen oder zu gebärden, an der sie im Gedicht steht. Höre gut zu oder schau genau hin, wer vor dir liest oder gebärdet und fange erst an, wenn deine Strophe dran ist. Wenn jemand anderes auch deine Strophe ausgewählt hat, lest oder gebärdet ihr den Text gleichzeitig.
Das Jahr geht um,
Der Faden rollt sich sausend ab.
Ein Stündchen noch, das letzte heut,
Und stäubend rieselt in sein Grab,
Was einstens war lebend'ge Zeit.
Ich harre stumm.
's ist tiefe Nacht!
Ob wohl ein Auge offen noch?
In diesen Mauern rüttelt dein
Verinnen, Zeit! Mir schaudert; doch
Es will die letzte Stunde sein
Einsam durchwacht,
Gesehen all,
Was ich begangen und gedacht.
Was mir aus Haupt und Herzen stieg,
Das steht nun eine ernste Wacht
Am Himmelstor. O halber Sieg!
O schwerer Fall!
Wie reißt der Wind
Am Fensterkreuze! Ja es will
Auf Sturmesfittichen das Jahr
Zerstäuben, nicht ein Schatten still
Verhauchen unterm Sternenklar.
Du Sündenkind,
War nicht ein hohl
Und heimlich Sausen jeder Tag
In deiner wüsten Brust Verließ,
Wo langsam Stein an Stein zerbrach,
Wenn es den kalten Odem stieß
Vom starren Pol?
Mein Lämpchen will
Verlöschen, und begierig saugt
Der Docht den letzten Tropfen Öl.
Ist so mein Leben auch verraucht?
Eröffnet sich des Grabes Höhl'
Mir schwarz und still
Wohl in dem Kreis,
Den dieses Jahres Lauf umzieht?
Mein Leben bricht, ich wußt' es lang!
Und dennoch hat dies Herz geglüht
In eitler Leidenschaften Drang!
Mir brüht der Schweiß
Der tiefsten Angst
Auf Stirn und Hand. - Wie dämmert feucht
Ein Stern dort durch die Wolken nicht!
Wär' es der Liebe Stern vielleicht,
Dir zürnend mit dem trüben Licht,
Daß du so bangst?
Horch, welch Gesumm?
Und wieder? Sterbemelodie!
Die Glocke regt den ehrnen Mund.
O Herr, ich falle auf das Knie:
Sei gnädig meiner letzten Stund'!
Das Jahr ist um!
- Geht mit zwei anderen Personen auf den Schulhof oder in den Garten, auf die Straße oder in den Park und sammle Blumen oder Gräser.
- Eine Person nimmt die Pflanzen in die Hand und versucht, mit ihnen Geräusche oder Zeichen zu machen. Eine zweite Person nimmt die Geräusche oder Zeichen mit dem Handy oder einem anderen Aufnahmegerät auf Video auf.
- Danach spricht oder gebärdet eine Person das Gedicht »Wie sind meine Finger so grün« und eine andere Person filmt es.
- Nun spricht oder gebärdet eine Person das Gedicht vor, eine andere Person macht die Geräusche oder Zeichen mit den Pflanzen und die dritte Person nimmt alles gleichzeitig mit dem Handy auf Video auf.
- Schaut euch eure Aufnahmen an. Betrachtet danach die Pflanzen. Was ist damit geschehen?
- Findet einen schönen Ort für die Pflanzen und legt sie dort zur Ruhe.
Wie sind meine Finger so grün,
Blumen hab' ich zerrissen;
Sie wollten für mich blühn
Und haben sterben müssen.
Wie neigten sie um mein Angesicht
Wie fromme schüchterne Lider,
Ich war in Gedanken, ich achtet's nicht
Und bog sie zu mir nieder,
Zerriß die lieben Glieder
In sorgenlosem Mut.
Da floß ihr grünes Blut
Um meine Finger nieder;
Sie weinten nicht, sie klagten nicht,
Sie starben sonder Laut,
Nur dunkel ward ihr Angesicht,
Wie wenn der Himmel graut.
Sie konnten mir's nicht ersparen,
Sonst hätten sie's wohl getan;
Wohin bin ich gefahren
In trüben Sinnens Wahn?
O töricht Kinderspiel,
O schuldlos Blutvergießen!
Und gleicht's dem Leben viel,
Laßt mich die Augen schließen,
Denn was geschehn ist, ist geschehn,
Und wer kann für die Zukunft stehn?
die Scores (Handlungsanweisungen, Partituren) sind für den interaktiven, partizipativen Umgang mit verschiedenen Gedichten von Annette von Droste-Hülshoff gedacht. Die beiden Gedichte in der Anleitung sind Vorschläge. Falls das Pad in der Schule eingesetzt wird und im Unterricht gerade ein anderes Droste-Gedicht thematisiert wird, eignet sich Score #1 am besten.
Grundsätzlich sind Scores Handlungsanweisungen. Sie wurden in der Performance-Kunst und in den Darstellenden Künsten in den 1960er und 1970er Jahren als künstlerische Anwendung entwickelt und als Inspiration für den Umgang mit Texten und Themen genutzt. Ausgehend von musikalischen Partituren wird hierbei versucht, über genaue Anweisungen, performative Momente zu schaffen, die fast jede Person für sich nutzen kann. Für tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema gibt es im Internet oder in der Bibliothek unter den Begriffen wie Fluxus, Happening, Score, Partitur, John Gage, Yoko Ono, Valie Export und Wolf Vostell sicherlich noch einiges zu entdecken.
Pad entwickelt von: Miriam Michel